Rote Orte und das Himmelreich

Was alte Namen über unsere Kraftplätze verraten - Vom Rosengarten zur Rothesteinhöhle


Der Höhleneingang wirkt wie der Mantelwurf einer Madonnenstatue. Vorsichtig tasten wir uns in den engen, dunklen Gang hinein. Der Weg in den Bauch von Mutter ist feucht, die Steine sind glitschig. „Rothesteinhöhle“ hat jemand in roten Buchstaben an die Felswand geschrieben.

Der Name der Höhle an der Südspitze des Iths (Weserbergland) reiht sich in die  Liste von roten Orten und Plätzen  im gesamten deutsprachigen Raum. Es gibt rote Berge, rote Burgen und auch rote Gärten, die allerdings meist Rosengärten genannt werden.  Doch was haben Rosengärten mit Höhlen und Burgen zu tun? Bis zum Mittelalter gab es in heutigen Deutschland nur die Wildrosenarten wie die Hundsrosen. Gemeint waren hier aber nicht die Rosen, sondern die Farbe Rot.

 

Das Lied vom Rosengarten zu Worms ist ein Versepos aus dem 13. Jahrhundert in der Krimhild die Hüterin eines Rosengartens ist, der von 12 Helden bewacht wird. Siegfried, der Held der Nibelungensage, ist nur einer von ihnen.  

König Laurin ist der sagenhafte Zwergenkönig des Rosengartens in den Dolomiten, der im Kampf Dietrich von Bern unterliegt – der auch schon in der Siegfriedsage eine Rolle spielt.

Der Schweizer Kulturanthropologe Kurt Derungs ist davon überzeugt, dass die Rosenorte einst rote Orte waren. Überall wo diese in Orts- und Flurnamen auftauchen, handelt es sich um alte Kultstätten, die bis in die Megalithzeit zurück reichen.  Sie sind oft gleichzeitig Begräbnis- und Gerichtsstätten, Tanz- und Kultplätze sowie Orte von früher religiöser Bedeutung. An roten Plätze wurde geheilt und es wurden Urteile vollstreckt.

In Hameln liegt der Friedhof noch heute am Rotenberg. Der Ort am alten Helweg (heute Bundesstraße 1) liegt an einem strategischen Weserübergang. Dort, wo einst der Thingplatz war, ist noch heute das Amtsgericht. Nicht weit von dort an der Fischpfortenstraße zweigt eine Gasse mit dem Namen Himmelreich ab – ein häufiger Begleiter von roten Plätzen. Mein liebstes Himmelreich liegt am Bodensee, wo gute Freunde einen Seminarort geschaffen haben, der auf einem alten Kultplatz liegt.

Oberhalb der Schaumburg am Wesergebirge bei Rinteln liegt auf dm Nesselberg die Oster- oder Paschenburg. Unterhalb des heutigen Restaurants dort gibt es eine Höhle: das Meumke-Loch. Dort lebte die Zwergin Tienke Meume, die ein Verhältnis mit dem Grafen hatte – bis dieses aufflog. Von der Höhle aus führt eine Schlucht zu einer kleinen Siedlung, ihr Name: Rosenthal. Schaut man allein hier auf die Landkarte, so finden sich im Umkreis weitere Orte wie Rohdental und Rodenberg. Dort am Roten Berg befinden sich einige Hügelgräber.

Knochenfunde in der Rothesteinhöhle lassen vermuten, dass diese rund 50 Meter lange Höhle ebenfalls als Totenstätte fungierte.

Der Tot gehört zum Leben und umgekehrt. Eine Trennung und Tabuisierung des Todes war den Menschen früher fremd. Sie wollten die Toten bei sich wissen. Rot ist die Farbe des Blutes und damit des Lebens.

Bei unserer Höhlentour sind wir nun in der weit entferntesten Ecke angekommen. Hier knipsen wir die Taschenlampen aus. Der Atem stockt, kein Geräusch ist zu hören. Wir sind aus dem Schoß der Mutter geboren worden und verbinden uns nun mit der Großen Mutter. Wir lassen Altes sterben, bereit wieder ins Leben zu treten.

 

 

 

 

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Gastbeitrag: Das Himmelreich